Auf dem Weg zur richtigen Blockchain-Strategie

Enttäuschung und Kritik

von - 17.08.2020
Nicht alle Experten sind allerdings vom disruptiven Potenzial der Blockchain-Technologie überzeugt. „Die Revolution findet nicht statt“, schreibt beispielsweise Dirk Pappelbaum auf dem Firmenblog der Inveda.net GmbH. Der Geschäftsführer des Software-Unternehmens, das hauptsächlich Lösungen für die Versicherungswirtschaft entwickelt, hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt: „Als wir versuchten, die Blockchain in die eigenen Geschäftsprozesse zu integrieren beziehungsweise diese damit sogar abzulösen, ist von den vollmundigen Ankündigungen und Verheißungen nichts übrig geblieben.“ Pappelmann macht sich unter anderem über die Flugausfall-Police Fizzy des französischen Versicherungskonzerns Axa lustig - die laut Axa erste auf Blockchain basierende Versicherung. „Warum hat man das nicht mit einer konventionellen Datenbank und einer konventionellen Webservice-Schnittstelle gelöst?“, fragt Pappelmann. „Wa­rum hat man mit Kanonen auf Spatzen geschossen?“ Das fragt sich mittlerweile wohl auch Axa. Die Blockchain-Police wurde nämlich Ende 2019 wieder abgeschafft.
Pappelmann ist nicht der Einzige, der den Hype um Blockchain kritisiert. Auch das Beratungsunternehmen McKinsey lässt in dem Artikel „Blockchain’s Occam Problem“ kaum
ein gutes Haar an der Technologie. „Trotz Investitionen in Milliardenhöhe und fast ebenso vielen Schlagzeilen sind die Beweise für einen praktischen, skalierbaren Einsatz von Blockchain dünn gesät“, schreiben die Autoren. In vielen Fällen sei Blockchain teurer und komplizierter als andere Lösungen und verletze daher „Occam’s Razor“. Die dem englischen Franziskanermönch William von Ockham zugeschriebene Regel besagt, dass von zwei Lösungen die einfachere die richtige ist. „Die Frage ist nicht, ob Blockchain-Technologie eine Alternative darstellt, sondern ob es diese Alternative überhaupt braucht“, heißt es in dem Beitrag.
Dirk Pappelbaum
Dirk Pappelbaum
Geschäftsführer bei Inveda.net
www.inveda.net
Foto: Rainer Justen
„Die Revolution findet nicht statt.“
Über den Nutzen von Blockchain in der öffentlichen Verwaltung gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. CDU-Politiker Johannes Steiniger fordert in seinem Buchbeitrag den umfassenden Einsatz: „Jedes Ministerium sollte mindestens eine sinnvolle Blockchain-Anwendung in seinem Geschäftsbereich vorantreiben.“ Klaus Lenk, emeritierter Professor für Verwaltungswissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, dämpft dagegen die Erwartungen: „Es gibt durchaus Bereiche in der öffentlichen Verwaltung, wo eine verteilte Buchführung, wie sie eine Blockchain bietet, sinnvoll sein kann. Aber die Beispiele dafür sind gar nicht so zahlreich.“ Lenk hält nichts davon, funktionierende Strukturen wie die Grundbuchführung auf Biegen und Brechen durch Blockchain ersetzen zu wollen: „Man sollte nicht so tun, als müsste man hier Technologien einführen, die in Staaten durchaus sinnvoll sein können, wo es diese Strukturen nicht gibt.“ Für den Wissenschaftler ist Blockchain Teil einer Entwicklung, immer mehr Macht an Maschinen zu delegieren: „Die Freiheit des Menschen wird eingeschränkt, wenn Software-Strukturen - ganz nach dem Ausspruch von Lawrence Lessig ‚Code is Law‘, an die Stelle von Gesetzen treten.“

Fazit & Ausblick

Für die einen löst die Blockchain nahezu jedes Transaktionsproblem - vom weltweiten Geldtransfer über das Supply-Chain-Management bis zum Identitätsnachweis und zur digitalen Verwaltung. Die anderen halten sie für eine teure, komplizierte und nicht skalierende Technologie ohne echten Mehrwert. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie so oft in der Mitte. Distributed-Ledger-Technologien wie Blockchain haben das Potenzial, Prozesse zu revolutionieren und völlig neue Wege der Zusammenarbeit, Finanzwirtschaft und Kommunikation zu ermöglichen. Es ist daher sinnvoll und notwendig, dass Unternehmen und Behörden sich mit den Einsatzmöglichkeiten auseinandersetzen und praktische Erfahrungen sammeln. Dabei dürfen jedoch die Alternativen nicht aus dem Blick geraten, die in vielen Fällen einfachere, kostengünstigere und besser skalierbare Lösungen bieten.
Oft sind es allerdings gar nicht technische Aspekte, die für eine Blockchain-Implementierung sprechen, so etwa im Vorzeigeprojekt Palettenschein: „Der Palettentausch funktioniert auf technischer Ebene auch ohne Blockchain“, heißt es im Projektbericht, „doch die Distributed-Led­ger-Technologie (…) hilft auf politisch-organisatorischer Ebene (…) Vorbehalte abzubauen.“
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