Virtuelle Doppelgänger
Typen von Digital Twins
von Bernd Reder - 25.06.2024
Unternehmen, die einen digitalen Zwilling entwickeln möchten, stehen als erstes vor der Aufgabe, die passende Version auszuwählen. Siemens differenziert laut Johannes Ch. Eibinger drei Modelle:
- Digital Twins of the Product für die effiziente Entwicklung neuer Produkte: Sie stellen eine virtuelle und physische Verbindung her, mit der Nutzer analysieren können, wie ein Produkt unter verschiedenen Bedingungen funktioniert. Dies stellt sicher, dass das nächste physische Produkt genau so funktioniert wie geplant.
- Digital Twins of Production für den Einsatz in Fertigung und Produktionsplanung: Damit kann ein Unternehmen ermitteln, wie gut ein Fertigungsprozess in der Werkstatt funktioniert, bevor er in Produktion geht.
- Digital Twins of Performance: Intelligente Produkte und Anlagen erzeugen riesige Mengen an Daten über ihre Nutzung und Effektivität. Der Digital Twin erfasst diese Daten und analysiert sie, um verwertbare Erkenntnisse für eine fundierte Entscheidungsfindung zu liefern.
Kein „Mal-eben-schnell“-Projekt
Für Unternehmen kann es eine Herausforderung darstellen, eine tragfähige Gesamtlösung zu implementieren. „Ein einzelner Digitaler Zwilling ist schnell beschrieben und vorführfähig aufgesetzt. Eine industriefähige Architektur für digitale Zwillinge ist etwas ganz anderes“, betont Dominik Rüchardt von PTC. Der Grund: Es mischen sich schnell sehr komplexe Daten und Prozesse mit einer hohen Änderungsdynamik. „Nicht nur die einzelnen beteiligten Komponenten, sondern alle vernetzten Systeme, der ‚Digital Thread‘ als Vernetzungsstrategie, kommen hier zur vollen Entfaltung“ so Rüchardt.
Das Konzept des Digital Thread bei Digital Twins spielt auch für Siemens eine zentrale Rolle. Es sieht vor, dass alle relevanten Daten verknüpft und synchronisiert werden – von Produktentwicklung über Fertigung und Lieferkette bis Betrieb und Service. Ziel ist, eine höhere Transparenz der Effizienz zu erreichen und zudem die Kontrolle über Prozesse zu gewinnen, was letztlich zu verbesserten Produkten und Dienstleistungen führen soll.
Doch speziell die Verbindung von Daten ist für viele Unternehmen eine Herausforderung: „Bei der Erstellung digitaler Zwillinge müssen die Teams häufig Daten von verschiedenen Seiten und Tools in unterschiedlichen Formaten manuell sammeln und aufbereiten. Dies führt oft zu veralteten Daten im Modell, die wichtige Entscheidungen beeinflussen, und zu teuren Verzögerungen und Nacharbeiten führen“, berichtet Timo Kistner von Nvidia.
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Ein Anwendungsfeld von digitalen Zwillingen ist die Planung von Rechenzentren. – im Bild eine Illustration des Nvidia Omniverse.
(Quelle: Nvidia)
Erforderlich sind seiner Ansicht nach Standards, Software Development Kits, Microservices, Collaboration-Funktionen und Visual-Computing-Plattformen wie Nvidia RTX. Mit ihnen lassen sich Datenquellen integrieren und Tools und Services entwickeln, die wiederum für das Erstellen von Digital Twins benötigt werden. Mit „Omniverse“ hat Nvidia eine Plattform geschaffen, auf der auch Anbieter wie Autodesk, Siemens und PTC Tools bereitstellen. Dies soll Firmen den Einstieg in die Thematik erleichtern und die Zusammenarbeit fördern. Auch Dienstleister wie das deutsche Unternehmen Ipolog nutzen die Plattform, um Anwendungen und Services im Bereich digitale Zwillinge zu entwickeln. Diese stellt Ipolog kleinen und mittelständischen Firmen zur Verfügung.
Digitale Zwillinge für den Menschen
Spannende Perspektiven bietet auch die Kombination aus Metaverse und Digital Twins. Ob sich Industrial-Metaverse-Plattformen durchsetzen, ist zwar noch offen, doch finden sich in diesem Bereich schon jetzt interessante Ansätze. So nutzt die Lufthansa virtuelle Versionen von Flugzeugkabinen und Passagieren in Verbindung mit der VR-/AR-Brille Vision Pro von Apple. Flugbegleiter lernen so, mit verängstigten oder aggressiven Passagieren umzugehen.
Experten des Strategy Lab der Universität Zürich wiederum gehen davon aus, dass in absehbarer Zeit digitale Zwillinge von menschlichen Organen und Stoffwechselprozessen in der Medizin und der Forschung eine wichtige Rolle spielen. Der Digital Twin eines Patienten könnte etwa genutzt werden, um die Wirkung von Therapien und Medikamenten zu testen – ohne Risiko für den „echten“ Menschen“.
Allerdings räumen Unternehmen wie Siemens Healthineers ein, dass es noch ein langer Weg ist bis zum „digitalen Patienten“. Denn es sind nicht nur technische Herausforderungen zu meistern, etwa bei der automatisierten Analyse von Daten und der Visualisierung dieser Informationen mittels Cinematic Rendering. Auch der Schutz von Patientendaten und die schwache Digitalisierung des Gesundheitswesens können sich als Hemmschwellen erweisen.