Motor der Digitalisierung

Virtuelle Doppelgänger

von - 25.06.2024
Foto: Shutterstock / MangKangMangMee
Digitale Zwillinge optimieren Prozesse, minimieren Ausfallzeiten und reduzieren Kosten. Es aber nicht trivial, sie in der Praxis aufzubauen.
Der Automobilhersteller BMW setzt sie ein, aber auch der Brauereikonzern Heineken und Linde Material Handling, ein Hersteller von Gabelstaplern: digitale Zwillinge. Darunter versteht man zunächst einmal das virtuelle Abbild eines Objektes oder Systems aus der realen Welt. Aber es lassen sich auch Geschäftsprozesse, Fabriken, Gebäude und sogar Gemeinden und Städte als Digital Twins abbilden.
„Ein zentrales Merkmal von Digital Twins ist die Fähigkeit, in Echtzeit oder nahezu Echtzeit Daten aus der physischen Welt zu integrieren. Das bedeutet, dass digitale Zwillinge fortlaufend mit aktuellen Daten aus Sensoren, IoT-Geräten und anderen Quellen gefüttert werden“, erklärt dementsprechend Johannes Ch. Eibinger, Director Business Development & Presales AT/CH bei Siemens Digital Industries Software.
Johannes Fuhrmann wiederum, Head of Business Development für die Fertigungsindustrie beim IT- und Technologiedienstleister Arvato Systems, kennt dagegen unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein Digital Twin ist: „Die Definition und Anwendungsweise von digitalen Zwillingen ist heterogen.“ So schaffen seiner Einschätzung nach firmeninterne Use Cases im Bereich Konstruktion oder Condition Monitoring 3D-Modelle, die als digitaler Zwilling zusätzliche Effizienz garantieren. „Genauso aber wird ein in der eigenen Produktion per QR-Code nachverfolgbares Bauteil als Digitaler Zwilling bezeichnet, obwohl es sich hier ‚nur‘ um Datenpunkte handelt. Anwendungs- und Umsetzungsszenarien unterscheiden sich demnach. Dies erschwert den Aufbau interoperabler Use Cases.“
Dorian Gast
Associate Partner, Concept Reply
Foto: Concept Reply
„Für Linde Material Handling haben wir einen Gabelstapler virtualisiert. Alle Modifikationen an der Fahrzeugkonfiguration spiegeln sich im digitalen Zwilling wider.“
Eine Möglichkeit, Klarheit zu schaffen, sieht Fuhrmann darin, zwischen „Digitalen Zwillingen“ (3D-Modellen) und „Digitalen Schatten“ (Lifecycle-Produktdaten ohne visuelle Modellierung) zu unterscheiden.
Mit virtuellen Ab­bildern physischer „Assets“ können digitale Zwillinge Abläufe und Prozesse simulieren und optimieren.
(Quelle: Bosch )
Trotz solcher begrifflicher Unschärfen setzen Unternehmen in der DACH-Region verstärkt digitale Zwillinge ein. BMW verwendet neben der Digital-Twin-Plattform von Dassault Systèmes die Omniverse-Plattform von Nvidia. „Bei der Einführung neuer Fahrzeugmodelle nutzen Fabrikplaner beispielsweise digitale Zwillinge, um das Layout der Produktionsanlagen effizient zu rekonfigurieren“, beschreibt Dr. Timo Kistner, EMEA Industry Lead KI für Fertigung und Industrie bei Nvidia, ein praktiziertes Einsatzszenario. Dadurch steige bei BMW die Effizienz von Planungsprozessen um bis zu 30 Prozent. Außerdem können laut Timo Kistner die Fachleute des Automobilherstellers im Vorfeld prüfen, wie sich Maschinen und Roboter optimal in der Fabrik platzieren lassen.

Von Bierbrauer bis Gabelstapler

Braurei-Gigant Heineken ermittelt mit einem digitalen Zwilling von Siemens, wie viel Energie die einzelnen Prozesse beim Brauen von Bier benötigen – und wie man durch Optimierung der Heiz- und Kühlsysteme Energie und CO2 einsparen kann. Die Grundlage dafür liefern die Betriebsdaten der jeweiligen Standorte. Laut Heineken und Siemens hat der digitale Zwilling offenbart, dass sich etwa 50 Prozent der CO2-Emissionen vermeiden lassen. Und der Energieverbrauch in den Brauereien und Mälzereien des Konzerns kann um 15 bis 20 Prozent gesenkt werden, etwa durch Wärmepumpen. In einer ersten Phase will Heineken mit dem Digital Twin 15 Standorte modernisieren. Damit stellt der digitale Zwilling einen wichtigen Baustein in der Strategie des Konzerns dar, in den kommenden Jahren die direkten Emissionen und den Schadstoffausstoß aus Energieträgern auf null zu reduzieren.
Dr. Timo Kistner
KI für Fertigung und Industrie – EMEA Industry Lead, Nvidia
Foto: Nvidia
„Bei der Einführung neuer Fahrzeugmodelle nutzen Fabrikplaner digitale Zwillinge, um das Layout der Produktionsanlagen effizient zu rekonfigurieren.“
Ein weiteres Beispiel für einen digitalen Zwilling: Für Linde Material Handling hat Concept Reply einen Gabelstapler virtualisiert. „Alle Modifikationen an der Fahrzeugkonfiguration spiegeln sich im digitalen Zwilling wider. Auch Änderungen an der Hardware lassen sich im Digital Twin nachvollziehen“, erläutert Dorian Gast, Associate Partner beim IT-Dienstleister Concept Reply. Bislang hatten nur Servicetechniker vor Ort die Option, sich über Änderungen an Hard- und Software oder den Zustand eines Staplers zu informieren.
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