ERP-Systeme werden zu offenen Plattformen

Beispiel: proALPHA

von - 07.01.2020
Process Mining bei proALPHA
Suche nach der Bremse: Durch Process Mining macht proALPHA die Durchlaufzeiten von Prozessen im ERP-System sichtbar.
(Quelle: CERP)
Sehr schön zeigt diese Entwicklung ein Blick auf die Plattformstrategie des deutschen ERP-Anbieters proALPHA mit rund 1.200 Mitarbeitern. Die proALPHA Gruppe ist eigenen Angaben zufolge in Deutschland, Österreich und der Schweiz drittgrößter ERP-Anbieter für mittelständische Unternehmen in Fertigung und Handel, überwiegend aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau.
Ein wichtiges Thema für die Kunden von proALPHA ist das Internet der Dinge. Der ERP-Hersteller hat daher die Architektur seines Systems auf die Integration dieser externen Anwendungen und Services ausgelegt. "Wir haben unseren zentralen ERP-Prozesskern mit einer Integrationstechnik umgeben, die als eine Art Middleware fungiert. Die importierten Sensordaten von Maschinen, mobilen Geräten oder Webportalen gehen so nicht direkt ins ERP-System, sondern die vorgelagerte Schicht erkennt die Daten und leitet sie dann zur automatisierten Verarbeitung weiter", erläutert Friedrich Neumeyer, CEO von proALPHA. Da die Middleware-Schicht eine Vielzahl an Schnittstellen unterstütze, ermögliche sie die optimale Vernetzung mit externen Anwendungen und die effiziente Integration von Prozessen aus einem Guss.
Friedrich Neumeyer
Friedrich Neumeyer
CEO von proALPHA
www.proalpha.com/de
Foto: proALPHA
„Eine zukunftsfähige ERP-Plattform muss alle wettbewerbskritischen Kernprozesse durch­gängig abbilden und gleichzeitig Drittsysteme integrieren können.“
Die optimale Architektur für ein ERP-System besteht für Neumeyer aus einem Mittelweg: "Weder 'Best of Breed' noch 'Best of Suite' - in der richtigen Kombination liegt die Power. Eine zukunftsfähige ERP-Plattform muss alle wettbewerbskritischen Kernprozesse durchgängig abbilden und gleichzeitig Drittsysteme integrieren können. Nur so sind konsistente Datenmodelle möglich - die Basis für Digitalisierung." Die Grenzen von Best of Breed sieht er bei komplexen Prozessen, die eine tiefe Integration und ein konsistentes Datenmodell benötigen.
Bei der Weiterentwicklung seiner Lösung verfolgt pro­ALPHA eine zweigleisige Strategie. Den ERP-Kern optimiert das Unternehmen selbst mit Hilfe von Forschungspartnerschaften, beim Einbau von Zusatzfunktionen außerhalb des ERP-Systems setzt man auf den Kauf spezialisierter Firmen oder auf Partnerschaften mit Drittanbietern.
Da sich die IT-Welt rasant verändert, muss auch proALPHA seinen ERP-Kern stetig aktualisieren. Der Anbieter garantiert seinen Kunden grundsätzlich, eine Technologie über zehn Jahre zu erhalten. In der Vergangenheit erfolgte etwa alle sechs Jahre ein Update des Kerns als Ganzes, heute liegt der Update-Zyklus bei etwa zwei Jahren und soll sich in naher Zukunft weiter deutlich verkürzen. Dazu gibt es kontinuierliche Funktions-Updates in kleineren Bereichen wie Einkauf, Vertrieb oder Service-Management. "Das geht dann schon in Richtung Microservices und Domain-driven Development, bei dem die Domains als kleine funktionale Bereiche im Datenmodell gekapselt werden. Die Kunst besteht darin, hier die richtige Granularität zu finden", so der CEO.
Das Kernsystem entwickelt proALPHA über Forschungspartnerschaften etwa mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern oder dem Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) der RWTH Aachen weiter. Zentrale Themen sind hier maschinelles Lernen und Process Mining für die Analyse und Visualisierung komplexer Prozesse. In einem ERP-System werden viele Daten bewegt wie Aufträge, Buchungen oder Materialflüsse. Process Mining trackt all diese Daten, macht die Durchlaufzeiten der Prozesse sichtbar und zeigt so, wo Bottlenecks bestehen. 
"An dieser Stelle können Firmen dann ansetzen und ihre Prozesse optimieren. Unser Ziel sind selbstlernende Prozesse mit Algorithmen, die geeignete Maßnahmen zur Lösung eines Problems vorschlagen", erläutert Friedrich Neumeyer.
"Der Zukauf von kleineren ERP-Anbietern für den Kern unserer Plattform bringt keinen strategischen Mehrwert, da wir beim Know-how etwa bei Datenanalyse oder mobilen Funktionen oft weiter sind", betont Neumeyer. "Etwas anderes ist es bei Bereichen, die rund um ERP stattfinden, wie Maschinendatenverarbeitung, Lagerverwaltungssysteme oder Zutrittskontrolle. Hier übernehmen wir Firmen und integrieren deren Funktionen und Prozesse über Schnittstellen in unsere Plattform." So hat proALPHA erst kürzlich mit Tisoware einen Spezialisten für Zeitmanagement, Maschinendatenerfassung und Zutrittssicherung erworben.

Fazit & Ausblick

Die Anforderungen ans Enterprise Resource Planning werden immer komplexer. Mittlerweile haben die Anbieter von ERP-Systemen auf die neuen Anforderungen reagiert und die Integrationsfähigkeit ihrer Systeme mit externen Anwendungen verbessert. Ergebnis ist oft eine hybride Landschaft, in der ein zen­trales, meist lokal betriebenes ERP-System durch mehrere cloudbasierte Speziallösungen erweitert wurde.
Zudem bieten fast alle ERP-Hersteller ihre Software auch als Service aus der Cloud an und lösen ihre Monolithen Schritt für Schritt auf. Die Zukunft dürfte daher modularen ERP-Plattformen gehören, die sich über offene Schnittstellen beliebig erweitern lassen - auch um Anwendungen anderer Anbieter.
Best of Breed: Vor- und Nachteile
Starre monolithische ERP-Systeme erfüllen die künftigen Anforderungen nicht mehr. ERP-Systeme müssen offene Schnittstellen für externe Anwendungen bieten und auch im Kern flexibel werden. Eine mögliche ERP-Variante könnten künftig eher cloud­basierte Best-of-Breed-Plattformen sein, die verschiedene ERP-Funktionen flexibel miteinander koppeln und spezialisierte Services von Drittanbietern integrieren. Gartner hat dafür vor einigen Jahren den Begriff „Postmodernes ERP“ geprägt. Die wichtigsten Vor- und Nachteile dieser ERP-Ausprägung sind:
Vorteile
Höhere Flexibilität: Mit einem Best-of-Breed-Konzept kann ein Unternehmen die Module frei aussuchen, die für seine Anforderungen am besten passen. Damit enthält die Lösung nur die Komponenten, die in der Praxis wirklich im Einsatz sind. Firmen verschwenden kein Geld für unnötige Funktionen und Ressourcen und können je nach Bedarf neue Services hinzufügen oder wieder abbestellen. 
Große Auswahl: Die Firmen können bei diesem Ansatz auch die Lieferanten frei bestimmen. Sie haben die Wahl aus einer Vielzahl von Software-Services, um das Modul zu finden, das für
ihren Bedarf am besten geeignet ist. Häufig sind die Spezialanwendungen einzelner Anbieter qualitativ viel höherwertig als einzelne Funktionen in einem umfassenden monolithischen ERP-System jemals sein können.
Pay per Use: Klassische ERP-Systeme sind meist teuer in der Anschaffung und erfordern einen hohen Aufwand für Installation und Betrieb. Da ein Best-of-Breed-ERP meist cloudbasiert sein dürfte, entfallen die hohen einmaligen Lizenzgebühren und das Service- und Abrechnungsmodell läuft auf Monats- oder Jahresbasis nach tatsächlichem Bedarf und Einsatz. Die Kosten verteilen sich damit über eine längere Laufzeit. Ob die Gesamtkosten langfristig tatsächlich niedriger sind als bei einer klassischen ERP-Lösung, ist nicht pauschal zu beantworten, da der Integrationsaufwand erheblich steigt.
Nachteile
Komplexität zwischen den Systemen: Bei einem modularen ERP-System ist die Integration viel schwieriger, da Firmen häufig Programme und Services verschiedener Anbieter orchestrieren müssen. Hier können Probleme mit den Schnittstellen, bei der Datenhaltung oder auch der Verbindung unterschiedlicher Datenformate entstehen. Wegen des hohen Integrationsaufwands kann es sein, dass ein Best-of-Breed-Konzept langfristig mehr kostet als ein monolithisches ERP-System.
Kein zentraler Ansprechpartner: Bei einem modularen ERP-System fehlt ein zentraler Ansprechpartner, der bei Updates, Problemen im Betrieb oder bei der Wartung Support leistet. 
Schwierigere Updates: Bei Updates der einzelnen Module muss das IT-Team dafür sorgen, dass die Kommunikation zwischen den Systemen weiterhin reibungslos abläuft und die Leistung der einzelnen Funktionen nicht negativ beeinflusst wird.
Cloud als Risiko: Bei ERP-Lösungen aus der Cloud sind Firmen auf das Internet angewiesen, um auf alle ihre Daten zugreifen zu können. 
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