Datenverfügbarkeit

Where EDGE Computing meets 5G

von - 30.04.2024
Foto: Audi
Logistik- und Produktionsprozesse sollen flüssig und fehlerfrei laufen. Maschinen und Personal müssen im Takt funktionieren. Zulieferer haben just-in-time anzuliefern. Dies stellt hohe Anforderungen an die lokale Datenübertragung. Welche Technik bietet sich dazu an?
Sofort verfügbare Daten zu jeder Zeit an jedem Ort sind gerade in der Produktion hochwertiger Erzeugnisse der Elektronik, Medizinaltechnik, in der Automobilproduktion oder bei der Herstellung von Präzisionsteilen und Komponenten essenziell. Weil die Produktion weitverzweigt und spezialisiert abläuft, sind auch Zulieferer und damit eine funktionierende Logistik ein wichtiger Erfolgsfaktor, sei dies für Medikamentengrundstoffe für die Pharmaindustrie oder Komponenten und ganze Baugruppen für Fahrzeuge. Je komplexer das Endprodukt, umso wichtiger sind Echtzeitdaten, damit das Endprodukt den Erwartungen entspricht und man bei möglichen Fehlern schnell die Ursache in der jeweiligen Charge findet.

Komplexe Szenarien für Hightech-Produkte

Hier sind präzises Arbeiten, laufende Qualitätskontrollen und eine ausgeklügelte Logistik in Echtzeit gefragt, um eine hohe Qualität dauerhaft zu gewährleisten. Es liegt auf der Hand: Voll automatisierte Produktionsprozesse wie im Szenario Industrie 4.0 sind ohne ständig, schnell und überall verfügbare Daten nicht möglich. Um teure Ressourcen präzise zu steuern und möglichst hoch auszulasten, ist das Umfeld zunehmend vernetzt und verlangt nach einer lückenlosen und leistungsfähigen Konnektivität für verschiedenste Anwendungen.
So stellt sich die Frage, wie man große Datenmengen zu den einzelnen Maschinen, Robotern und Servern in der Produktionshalle bringt. In der europäischen Automobilindustrie möchte man z. B. mögliche Sonderausstattungen bis kurz vor Fahrzeugproduktion bestimmen können, sei es wegen möglicher Lieferengpässe in der Logistik, Nachfrageschwankungen oder neuen Bedürfnissen des Käufers.
Die Automobil­pro­duktion der Zukunft ist auf zuverlässige, leistungsfähige Netzwerk­ver­bindungen angewiesen
(Quelle: Audi )

Industrial Ethernet und WLANs

Das bewährte Ethernet wird seit einiger Zeit nicht nur in Büros, sondern auch als "Industrial Ethernet" in der Produktion eingesetzt. Zwar überzeugt es mit tiefen Anschaffungskosten (CAPEX), garantierten Bandbreiten und hoher Zuverlässigkeit, brilliert aber weder durch tiefe Betriebskosten (OPEX) noch durch Flexibilität. Denn neben dem hohen Installationsaufwand vor der Inbetriebnahme bedingt jede Änderung in der Produktion eine oft komplizierte und teure Umlegung des lokalen Netzwerks.
Ein WLAN (Wireless Local Area Network) böte sich als drahtlose und preisgünstigere Alternative an. Ihm fehlen jedoch Mechanismen für eine garantierte Quality of Service (QoS). WLANs wurden für die zeitunkritische Bürokommunikation, nicht aber für komplexe Just-in-time-Produktionsabläufe mit Bandbreitenpeaks ausgelegt. Sie nutzen lizenzfreie Frequenzbänder (2,4 und 5 GHz), die weltweit unbeschränkt genutzt werden dürfen. Dadurch sind sie weder sonderlich stabil noch sicher und zuverlässig. Daher taugen sie nicht zur Steuerung von Industrierobotern bei der Herstellung komplexer und hochwertiger Produkte.

Qualitätsnetze: LTE/4G und 5G

Bei den Mobilfunknetzen hingegen werden von Anbeginn ausschließlich fest allozierte Frequenzen in lizenzierten Bändern verwendet, welche die öffentlichen Mobilnetzbetreiber teuer ersteigern müssen. Solche Funklizenzen werden mit begrenzter Gültigkeitsdauer und technologieneutral vergeben. Der Netzbetreiber entscheidet selbst, welche Technik er auf den ersteigerten Frequenzen verwendet, etwa Long Term Evolution (LTE/4G) oder 5G. Im hoch industrialisierten Deutschland vergeben staatliche Behörden bereits seit vielen Jahren private und räumlich begrenzte 4G- oder 5G-Lizenzen für Campusnetze. Hierzulande ist es hingegen schwierig, überhaupt eine Lizenz zu erhalten – und wenn, dann höchstens eine Testlizenz für 12 Monate.
Nach Expertenmeinung haben solche Hochleitungsnetze jedoch einen großen Einfluss auf die Produktivität, sei es auf komplexen Baustellen, einem Forschungscampus oder in der Produktion. Eine leistungsfähige Netzarchitektur, die Reaktionen in Echtzeit erlaubt, ist dazu unerlässlich. Dabei bietet 5G eine rund 1000-fach höhere Netzkapazität als das immer noch leistungsfähige LTE/4G und versorgt mit weniger Energie eine deutlich größere Anzahl von Endgeräten mit mobiler Konnektivität. Bei der hohen Endgerätedichte in Logistikcentern, in der produzierenden Industrie oder im Verkehr, aber auch auf Baustellen oder in Bahntunnels wird 5G damit zur Schlüsseltechnologie.

Wichtige 5G Features

5G bietet hohe Datenraten von bis zu 2 Gbit/s, sehr tiefe Latenzen von nur 3–5 ms und unterstützt verschiedene Nutzerprofile. Via "Network Slicing" lassen sich für bestimmte Nutzer eigene Netzkapazitäten reservieren, wovon zeitkritische Anwendungen profitieren, etwa eine Verkehrsregelung oder Zugsteuerung in Echtzeit oder Rettungs- und Sicherheitsdienste. Bei 5G koexistieren verschiedene Datenströme mit nutzerabhängigen Parametern, sodass z. B. bestimmte Datenpakete mit minimaler Latenz und andere mit maximaler Datenrate transportiert werden.
Ein weiteres wichtiges Feature ist das sogenannte Beam Forming. Dank variabler Antennencharakteristik kann 5G damit einen schmalen, dafür längeren Strahl (Beam) in eine entfernte Ecke einer Funkzelle führen, wovon die ländliche 5G-Versorgung mit Breitbanddiensten via Fixed Wireless Access (FWA) profitiert. Man kann den Funkstrahl aber auch auf kurze Distanzen beschränken, dafür verbreitern, womit nahe Teilnehmer einen möglichst schnellen Datenlink erhalten. Diese Beams werden ultraschnell auf- und abgebaut und dazwischen die Daten mit hoher Geschwindigkeit übertragen. Dies zeigt die Flexibilität und Effizienz von 5G, welches die Ressourcen situationsgerecht und lastabhängig aufteilt.

EDGE Computing in der Automobilindustrie

Die erwähnten Vorteile machen sich die bayrischen Premium-Hersteller BMW und Audi zunutze und statten ihre Fahrzeuge mit einer festen 5G-SIM-Karte aus. Schon 2015 brachte Audi LTE/4G in allen Fahrzeuge – vom kompakten A3 bis hin zur Luxuslimousine A8. Dies erlaubte schnelle SW-Upgrades Over-the-Air (OTA). Doch längst geht man in Ingolstadt weitere Schritte mit 5G. Auf dem Werksgelände dient es der Fahrzeug-Erprobung inklusive Systemtests für das autonome Fahren und zur Unfallvermeidung. Fahrzeuge melden dabei untereinander ihre Fahrtrichtung, Position und Geschwindigkeit. Lokale Rechnerkapazitäten in der 5G-Basisstation liefern dazu die Echtzeitdaten, um schnelle Hinweis den Fahrer oder notfalls Maßnahmen zur Unfallvermeidung im Fahrzeug auszulösen.
Der Automobil­her­steller Audi nutzt Edge Computing als lokale Serverlösung in der Fertigung für die IT-basierte Fabrikautomation
(Quelle: Audi )
Aber auch in den Fahrzeughallen zieht Edge Computing seit Juli 2022 ein. Im Werk Böllinger Höfe nahe Heilbronn testet Audi die lokale Serverlösung Edge Cloud 4 Production (EC4P). Diese neue Methode der IT-basierten Fabrikautomation kommt seit 2023 in der Serienproduktion bei Audi Sport in Neckarsulm zum Einsatz und steuert einen lokalen Servercluster zur Führung und Steuerung von Produktionstakten. Hier entstanden die exklusivsten Audi-Modelle R8 und A8, welchen die vollelektrischen e-tron GT quattro und RS e-tron GT2 folgen. Künftig sollen softwaregesteuerte Serverlösungen mit höherer Flexibilität und Skalierbarkeit die bisherige Steuerung über wartungsintensive Industrie-PCs ablösen.

IT-basierte Produktion

Dazu wurde EC4P als Teil der "Automotive Initiative 2025" (AI25) lanciert, welche künftige Produktionstechnologien, Prozesse in der Organisation und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden neu definieren möchte. EC4P stellt dabei sicher, dass die Mitarbeitenden über alle Informationen zur effizienten Montage zum richtigen Zeitpunkt verfügen ("Werkerführung"). Mit EC4P verlagert Audi die an der ­Linie notwendigen Rechenleistungen in lokale Rechenzentren.
Neben dem Ersteinsatz in der Serie entwickelt Audi parallel im Audi Production Lab (P-Lab) EC4P für zusätzliche Anwendungsfälle weiter. Es verwendet dazu lokale Server, welche als Datenverarbeitungszentren dienen und umfangreiche Informationen für die Fertigung mit geringer Latenzzeit verarbeiten können. Den Mitarbeitenden wird jeweils in Echtzeit angezeigt, welches Teil im Fahrzeug gerade verbaut werden muss. Die Arbeit von teuren und wartungsintensiven Industrie-PCs wird damit überflüssig.
Das rund 20-köpfige EC4P-Projektteam strebt eine schnelle Einführung von Software und neuen Tools ein, sei es für Montageanleitungen an den Fließbändern für die Schraubsteuerung, Fahrzeugdiagnose, vorausschauende Wartung oder Energieeinsparung. Durch Verzicht auf Industrie-PCs schließt Audi zudem potenzielle Einfallstore für Schadsoftware an der Produktionslinie. Zudem ermöglicht die lokale Serverlösung den Ausgleich von Auslastungsspitzen über die Gesamtzahl virtualisierter Clients für eine schnellere Anwendungsbereitstellung und die effizientere Nutzung von Ressourcen im Werk.

Qualitätskontrolle mit Künstlicher Intelligenz

In einem weiteren EC4P-Pilotprojekt wird mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Qualität von Schweißpunkten in der Serienproduktion kontrolliert. Auf diese Weise lassen sich Schweißprozesse automatisiert steuern und kontinuierlich optimieren. Großes Optimierungspotential in der Produktion sieht Audi vor allem bei Software-­Rollouts, Betriebssystemwechseln und IT-relevanten Aufwänden.
Die Cloudtechnologie lässt sich zudem skalieren und so flexibel an zukünftige Aufgabenstellungen anpassen. In der taktgebundenen Fertigung ist Audi der erste Automobilhersteller, der eine zentrale Serverlösung mit einer Verlagerung der Rechenleistung einsetzt und spricht vom «entscheidenden Schritt zu einer IT-basierten Produktion».

Noch Ethernet-basiert

Noch stehen Power-over-Ethernet-(PoE-)fähige Thin Clients an den Montagestationen, welche per Netzwerkkabel mit Strom versorgt werden und ihre Daten über die lokalen Server beziehen. Seit Ende 2023/Anfang 2024 ist die "Werkerführung" aller 36 Takte auf die serverbasierte Lösung umgestellt. Die Architektur der Servercluster sei so ausgelegt worden, dass eine rasche Skalierung von EC4P in der Großserie umgesetzt werden kann, so Audi. Man stehe dabei im engen Austausch mit den Mitarbeitenden an der Linie und verfolge bei der fortschreitenden Digitalisierung in der Produktion einen ganzheitlichen Ansatz im Spannungsfeld aus Technologie, Mensch und Organisation.
Neue Technologien und Zusammenarbeitsmodelle mit Computerunterstützung bedingen notabene neue Fähigkeiten der Audi-Mitarbeitenden. Deren Qualifizierung spielt somit neben der neuen Technik eine zentrale Rolle, wobei Ressourcen für neue Themen wie die Batterie- und Modulproduktion freizusetzen seien, sagt Audi. Der Standort in den Böllinger Höfen dient dabei als Lernfeld, weil die hier entstehenden Kleinserien längere Taktzeiten ermöglichen. Nach Heilbronn und Neckarsulm soll die IT-basierte Fabrikautomation auch auf das Stammwerk Ingolstadt ausgedehnt werden.

Tiefgreifende Transformation

Für den Einsatz von 5G in den Werkhallen besteht ein grundsätzlicher Konsens, jedoch beansprucht die Umstellung auf rein elektrische Antriebe viele personelle und finanzielle Ressourcen. Erschwert wird diese Transformation aller Autowerke durch noch nicht plangemäße Absatzzahlen rein elektrischer Fahrzeuge, zunehmende chinesische Importe derselben sowie immer neue EU-Vorschriften, deren Nichtbeachtung einem Marktausschluss gleichkommt. Was das zur Verfügung stehende Budget für die Nutzung von 5G im VW-Konzern bedeutet, ist unklar. Zu ihm gehört seit 1965 auch Audi, welche 1969 mit der innovativen NSU fusionierte. NSU steht für «Neckarsulm» nördlich von Heilbronn. Westlich davon befinden sich die Böllinger Höfe, womit sich der Kreis aus Tradition und Innovation wieder schließt.
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